Liebe Schwestern und Brüder,
heuer können wir den Jahrestag der Weihe unseres Domes nicht in der Kathedrale feiern. Die notwendigen Renovierungen verlangen eine Schließung dieses Gotteshauses bis zum 1. Adventssonntag 2012.
Wir müssen uns allerdings nicht mit der Neumünsterkirche ‚begnügen’, denn sie ist als Annexkirche unsere Domes zugleich die Grabeskirche unserer Bistumspatrone. Hier ruhen in der Krypta die Gebeine von Sankt Kilian, Kolonat und Totnan und erinnern uns an unsere Glaubenswurzeln. Denn diese Glaubenszeugen aus Irland haben vor mehr als 1300 Jahren im Frankenland den Glauben eingewurzelt.
Der heilige Bischof Burkhard, ein angelsächsischer Mönch, dessen Fest wir vor 14 Tagen gefeiert haben (14. Oktober), war der erste Bischof von Würzburg. Vom heiligen Bonifatius zum Bischof von Würzburg geweiht, erbaute er hier, wo heute die Neumünsterkirche steht, die erste Domkirche, in die er die Reliquien der Frankenapostel übertragen ließ.
In der Krypta von Neumünster ruht aber auch die Asche unseres Seligen Pfarrers Georg Häfner. Er ist ein Glaubenszeuge unserer Zeit. Mit seinem Märtyrer-Tod am 20. August 1942 im Konzentrationslager Dachau hat er sein Leben für Christus hingegeben und seiner Gemeinde und uns allen seinen tiefen Glauben an die Vollendung im Himmel bezeugt. Eindrucksvoll durften wir am 15. Mai dieses Jahres seine Seligsprechung im Würzburger Kiliansdom feiern.
Schon die Erwähnung dieser Glaubenszeugen macht deutlich, dass unser Dom und dieses Haus Gottes mehr ist als eine bloße Versammlungsstätte, mehr ist als ein historisch bedeutsames Gebäude.
In der vergangenen Woche durfte ich ein gründlich renoviertes kirchliches Kinder-und Jugenddorf in Riedenberg (Rhön) segnen.
Dort versammelten sich neben den vielen Caritas-Dorf Bewohnern, den Kindern, Jugendlichen und Betreuern, auch Gemeindemitglieder unter dem Leitsatz: Ein Haus ist mehr als ein Dach über dem Kopf.
Dieser Satz besagt doch: Ein Dach über dem Kopf ist zwar ein Schutz bei schlechtem Wetter. Aber ein Haus sollte mehr sein als nur eine Behausung. Ein Haus muss ein Zuhause sein, eine Heimstatt, in der ich mich mit Freude aufhalten, entfalten und leben kann.
Wie viel mehr gilt dies für ein Haus Gottes!
(Über den mittelalterlichen Portalen unserer Kirchen steht oft der Satz: Hier ist das Haus Gottes und die Pforte des Himmels.)
Kirchen sind Zufluchtsorte. Hier kann jeder seine Not, seine Sorgen aber auch seine Freude und seinen Dank vor Gott tragen. Kirchen laden die Menschen zum gemeinsamen Beten ein. Hier versammelt sich das Volk Gottes, sucht Glaubensvertiefung und Glaubensstärke. Auf den Altären unserer Gotteshäuser vollzieht sich sogar ganz konkret das Geheimnis unserer Erlösung.
Kirchen weisen über sich hinaus: Sie öffnen den Raum für die Gegenwart Gottes. In den Kirchen wird unser Blick über die oft kostbare Ausstattung in die nicht mehr vorstellbare, unsichtbare Wirklichkeit Gottes gelenkt.
Die Gebeine unserer Heiligen ruhen in den Kirchen als Zeugen der künftigen Welt. Sie verweisen darauf, dass unsere Heimat nicht auf dieser Erde ist, sondern im Himmel bei Gott. Gerade weil diese Heimat für uns zukünftig ist und wir sie mit unserer geschöpflichen Wahrnehmbarkeit nicht sehen können, brauchen wir Hilfen – gleichsam geistige Krücken – um eine Ahnung von dem zu bekommen, was uns von Christus verheißen ist: die himmlische Stadt Jerusalem. Dieses Sprechen von Gott ist immer nur andeutungsweise und in Bildern möglich. Aber in allen Andeutungen der Heiligen Schrift ist von einer ewigen Heimat die Rede, die sich in einem überaus kostbaren Zuhause (dem himmlischen Jerusalem) und in einem festlichen Mahl (dem himmlischen Hochzeitsmahl) veranschaulichen lässt.
Unser Dom ist ein geschichtsträchtiges Zeugnis menschlichen Strebens und Bemühens, etwas von dieser verheißenen Zukunft sichtbar werden zu lassen.
Zugleich aber trägt er offen die Wunden der Zeit, der Zerstörung und Hinfälligkeit in sich und verweist damit noch einmal auf eine ganz andere Weise auf den Himmel, nämlich in der Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit auf die Ganzheit und ewige Beständigkeit.
Der erste vom heiligen Bruno erbaute Dom (hier an der Stelle von Neumünster) wurde 855 durch Feuer zerstört. Auch der Neubau unter Bischof Arno – an der Stelle unseres heutigen Domes – verbrannte. Bischof Bruno konnte bis zum Jahre 1045 die jetzige Dom-Krypta wieder aufbauen. Bischof Gottfried I. weihte den ganzen Dom 1189 ein. Durch alle Jahrhunderte hindurch mühten sich die Menschen, dieses Gotteshaus zu verschönern. Die unterschiedlichsten Stile und Zeiteinflüsse fanden in ihm Raum und übten eine große Anziehungskraft auf die Menschen aus. Erst die schreckliche kriegerische Feuersbrunst vom 16. März 1945 zerstörte – zusammen mit der Stadt – dieses glanzvolle Zeugnis. Nach dem Wiederaufbau in den 50iger und 60iger Jahren ist es heute unsere Aufgabe, den Dom zu renovieren und einladend zu gestalten.
Ein Haus ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Ein Dach über dem Kopf hatten sogar die gequälten Häftlinge in Dachau und den anderen Konzentrationslagern. Ein Dach über dem Kopf haben hoffentlich auch häufig die Tiere. Ein Haus ist mehr. Ein Gotteshaus noch mehr, denn es verweist auf die himmlische Heimstatt und legt ein beeindruckendes Zeugnis für unsere Zukunft ab.
Feiern wir deshalb dankbar den Jahrestag der Weihe unseres Domes als Vergewisserung unserer Zukunft bei Gott.
Während eines Tempelweihefestes in Jerusalem weilte Jesu dort und ging – wie wir eben im Evangelium hörten – in der kostbaren Halle Salomos auf und ab. Hier legte er das beeindruckende Bekenntnis seiner Gottessohnschaft ab und verwies zum Beweis auf seine sichtbaren Handlungen, Wunder und Werke.
Unser Dom ist ein solches Glaubenszeugnis unserer Vorfahren. Möge unser Leben aus dem Glauben ein solch lebendiges und gewinnendes Zeugnis für die Realität Gottes und unsere Vollendung im Himmel sein.
Amen.