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Probleme im Licht des Evangeliums angehen

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann beim Wallfahrtstag der Politiker, Laienräte und Mitglieder der Kirchenverwaltungen am Montag, 4. Juli 2011, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Schwestern und Brüder,

gerade im vergangenen und auch in diesem Jahr erleben wir Katastrophen, Revolutionen und Demonstrationen, die uns beunruhigen. Innerhalb unserer Kirche gab es die Enthüllung und Aufarbeitung von Mißbrauchsfällen, die nur die Spitze eines Eisberges sind, der die ganze Gesellschaft betrifft.

Die Revolution in Tunesien (2010/11) war der Auslöser für Demonstrationen in Ägypten, im weiteren Nordafrika und im Nahen Osten. Die Verfolgung von Christen in vielen Ländern der Erde ist ein weiteres trauriges Kapitel unserer Zeit.

Aber uns bewegen auch Themen wie Abschaltung der Atomkraftwerke und Anfragen an einen bezahlbaren Öko-Strom, die Gesundheitsreform, die Hartz IV-Neuberechnungen, das Ringen um den Hausarztvertrag und die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik (PID) am Donnerstag dieser Woche in Berlin. Hier wird die Abstimmung zu einem Gesetzentwurf von ungeheurer Tragweite führen. Denn es gilt für uns Christen nicht nur einen Rechtsfrieden durch Rechtssicherheit zu schaffen, sondern die schwierigen ethischen Fragen im Blick auf das Embryonenschutzgesetz auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes zu lösen.

Viele werden sich in der Beurteilung dieser schwierigen Fragen auf das Naturrecht beziehen. Aber das Naturrecht, das in der anthropologischen Verfassung der menschlichen Person verankert ist, bewegt sich – wie Professor Schockenhoff es einmal formulierte – „in einem ‚Vorfeld’, das über sich hinaus auf die ‚Fülle des Lebensgrundes’ verweist, von dem die biblische Offenbarung Zeugnis ablegt.“(Die ethischen Grundlagen des Rechts. In: Kirche und Gesellschaft. Nr. 349, 8)

Das Naturrecht bildet zwar die Basis und Voraussetzung einer internationalen Menschenrechtspolitik, aber – so Schockenhoff – „es ersetzt nicht die religiösen Sinnentwürfe der Weltreligionen und die hochethischen Traditionen der Menschheit.“ (Ebd.)

Heute wird oft genug versucht, die ‚Werte’ aus der Rationalität und Logik herzuleiten. Der geradezu an Naivität grenzende Glaube an die Neutralität und den Segen der Wissenschaft wird als der Königsweg zum Glück angesehen. Wissenschaftliche Vernunft kann aber keine ethischen und sozialen Werte schaffen. Ethische Werte können nicht allein mit einer vermeintlichen einsichtigen Logik oder einer vermeintlichen wissenschaftlichen Rationalität gefunden und begründet werden. So sind uns die uns im christlichen Glauben vorgegebenen und erprobten Werte Grundlagen, auf denen die Menschheit eine tragfähige gemeinsame Zukunft gestalten kann. Jenseits von Abstimmungen veränderbarer Rechtsgrundlagen ist hier ein Wertefundament der Verfügbarkeit menschlichen Zugriffes entzogen und damit beständig.

„Jetzt ist die Zeit der Gnade!“ – Unter diesem Leitspruch, der dem zweiten Korintherbrief des heiligen Paulus entnommen ist, steht auch unsere Kilianiwoche. Menschen unterschiedlicher Herkunft, verschiedenen Alters und aus den verschiedenen Gegenden unseres Bistums Würzburg kommen zusammen, um sich miteinander im Glauben zu stärken. Es sind Priester, Diakone und pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Verantwortliche in Erziehung und Schule, Abiturienten und Schüler, Sie, die Politiker, Laienräte und Mitglieder der Kirchenverwaltungen, dann aber auch Mitarbeiter der Caritas und ehrenamtliche Mitarbeiter der Gemeinde-Caritas, Kirchenchöre und Blasorchester, Aussiedler und Vertriebene, Familien, Jugendliche und Kindergartenkinder, Orden und Missionare sowie viele Ehejubilare. Sie alle stellen sich unter den Leitsatz: „Jetzt ist die Zeit der Gnade“.

Es ist eine besondere Gnade, dass die irischen Wandermönche im 7. Jahrhundert nach Franken gekommen sind und hier den christlichen Glauben eingewurzelt haben. Es ist eine besondere Gnade, dass unser Frankenland von der Natur und mit der Kultur so reich beschenkt ist. Es ist eine besondere Gnade, dass wir so viele – und zum Teil atemberaubend schöne – Kirchen haben, die von dem Glauben unserer Vorfahren ein beredtes Zeugnis ablegen.

Aber es gilt auch die anstehenden Probleme im Lichte des Evangeliums anzugehen.

Mit dem Dialoggespräch, das am kommenden Freitag und Samstag in Mannheim seinen Auftakt findet, sollen über mehrere Jahre hinweg, Hintergründe erörtert und eine Glaubensvertiefung erreicht werden, die hoffentlich wieder zu einem größeren Miteinander führt.

Der geplante Dialogprozess in unserem Bistum Würzburg baut auf der Erfahrung der Dialoginitiative „Wege suchen im Gespräch“ auf. Im Zusammenhang mit der Errichtung von 168 Pfarreiengemeinschaften wurden im Vorfeld die Dekanate mit einbezogen und nach der Errichtung im Frühjahr 2010 vier Regionaltage veranstaltet, auf denen erste Erfahrungen ausgetauscht wurden.

Die von der Deutschen Bischofskonferenz angeregte Gesprächsinitiative wird in der ersten Phase bei uns so durchgeführt, dass auf der Ebene der Pfarreiengemeinschaften eine Art geistlich-pastoraler ‚Bestandsaufnahme’ durchgeführt wird. Außer einer auf fünf Jahre beschränkten Koordinierungsstelle werden keine zusätzlichen Gremien geschaffen. Vielmehr sollen die vorhandenen Räte die auf vier Jahre projektierten großen Glaubensthemen behandeln.

Es ist offensichtlich, dass ein Grundproblem unserer Zeit der Glaubensverlust ist, der ein immer weniger Kennen der Glaubensinhalte und ein Sich-lösen vom kirchlichen Leben nach sich zieht.

Viele Glaubenszweifel an Gottes Liebe und Güte erwachsen da, wo Ungerechtigkeiten, Leid und Not unsere Lebenslinien kreuzen. Enttäuschungen über unsere eigenen wie die anderer Fehler und Sünden verdunkeln den Glanz Gottes und lassen ihn uns ferner erscheinen.

Wir formulieren unsere Wünsche an Gott in Gebeten und sind deprimiert, wenn sie nicht in unserem Sinne erhört werden. Wir möchten ein sorgenfreies, glückliches Leben und erleben doch immer wieder Einbrüche, Not und Leid. Wir verstehen dann nicht, dass wir unentwegt von einem liebenden Gott sprechen, der uns doch vor all dem bewahren soll.

Liebe Schwestern und Brüder,

in den Lesungstexten des gestrigen Sonntags verwies die Prophezeiung des Propheten Sacharja auf den Messias, den König, der „demütig“, „auf einem Esel“ reitend daherkommt, aber die kriegerischen „Streitwagen“ und „Rosse“ vernichtet. Diese Verheißung legt ein Grundprinzip göttlichen Handelns dar: Gott handelt nicht durch mächtige, gewaltbestimmte spektakuläre Ereignisse, sondern er verbleibt still und – fast möchte man sagen – unerkannt hinter den Ereignissen unseres Lebens. Er wirkt durch eine duldende Liebe. Er schlägt nicht drein.

Aber der Streit zwischen „Fleisch“ und „Geist“, zwischen einer von Gott losgelösten Schöpfung und dem im Gehorsam Gott gegenüber gelebten Leben, ist wie der Grundakkord unseres Lebens zu verstehen. Wir sind nicht dieser Welt und ihren eigenen Gesetzen verpflichtet, sondern Gott. Wir beschränken uns in der Wahrnehmung des Daseins nicht auf das nur empirisch Messbare und mit dem eigenen Verstand Auslotbare, sondern wir beziehen die uns in der Offenbarung Gottes geschenkte Einsicht in das Ewige Leben mit ein.

Die beiden Lesungen des Hochfestes vom Heiligen Kilian und seiner Gefährten legen den Focus auf das Ende, das nicht im Tod, sondern im Ewigen Leben zu erwarten ist.

In den Augen der Welt sind die für und in Gott Gestorbenen „Toren“, aber für Gott, der sie „wie Gold im Schmelzofen erprobt hat“ (vgl. Weish 3,6), sind sie beim Endgericht die Gerechten, die „wie Funken (aufleuchten), die durch ein Stoppelfeld sprühen.“ (3,7)

Im Blick auf diese Vollendung, das Leben nach dem Tod, mahnt uns Paulus im Hebräerbrief, die Mahnungen Gottes mit aller Konsequenz zu beherzigen: Nächstenliebe, Gastfreundschaft, eheliche Treue und mildtätige Zufriedenheit sind Konkretitionen dieser Ewigkeitssicht.

Menschen, die diese Einsicht in ihrem Leben umgesetzt haben, sind uns Vorbilder. Ob es die Frankenapostel sind, die Gott mehr gehorchten als den Menschen, ob es die vor wenigen Tagen selig gesprochenen Lübecker Martyrer sind oder unser seliger Pfarrer Georg Häfner. Sie alle haben unter schwierigsten Umständen auf Gott vertraut. Auch da, wo er sie nicht aus der quälenden Gefangenschaft und der Todesangst befreit hat, blieben sie ihm treu, ja, haben sie nicht nur geduldig gelitten, sondern sogar noch für ihre Peiniger gebetet.

Diese christliche Grundhaltung ist nicht leicht zu erwerben. Sie kann nur da in uns Wurzeln schlagen, wo wir auf Christus schauen, der sich freiwillig für uns hingegeben hat. Sein Sterben am Kreuz ist – verbunden mit der Auferstehungsbotschaft – der Schlüssel für unser Verständnis von Liebe und geglücktem Leben. Nur wenn wir die Realität des Ewigen Lebens ernst nehmen, werden unsere jetzigen Entscheidungen im Sinne der provokanten Bergpredigt, die wir eben gehört haben, möglich.

Amen.