Würzburg (POW) Stephan Zipf wirkt orientierungslos. Vorsichtig tastet er sich im Kilianeum-Haus der Jugend voran. Zipf ist blind, allerdings nur für eine knappe Viertelstunde. Dann ist Daniela Mark an der Reihe. Die beiden sind im Rahmen der Dunkelcafé-Projektwoche gekommen. Seit sechs Jahren wird sie durch die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) angeboten und soll auf „Blind Date“, das Dunkelcafé im Kilianeum, aufmerksam machen. Gruppen können dort das ganze Jahr über Termine vereinbaren und einen kleinen Imbiss in völliger Dunkelheit zu sich nehmen, bedient von Blinden.
Noch bis Freitag, 29. Oktober, läuft die Projektwoche. In dieser Zeit ist vor dem Besuch des Dunkelcafés ein Gang mit Augenbinde und Blindenstock durch das Haus möglich. Für Zipf ein ungewohntes Gefühl: „Ich kann mir hier von meiner Umgebung gar nichts vorstellen“, sagt er, während er versucht, mit ausgestreckten Armen eine Treppe hochzulaufen. „Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Blinde das machen können“, findet er. Immer an der Wand entlang geht es für ihn, dort fühlt er sich einigermaßen sicher, das gibt ihm etwas Orientierung. Als Mark blind durch die Gänge des Kilianeums läuft, bleibt sie plötzlich stehen: Sie hört direkt vor sich das Klackern eines Blindenstocks. Auch ihr Gegenüber bleibt ruckartig stehen. Jetzt ist gegenseitige Verständigung gefragt: „Ich gehe rechts vorbei“, sagt Mark. Unsicher gehen beide aneinander vorbei, bloß nicht dem Anderen versehentlich den Blindenstock zwischen die Beine schieben und ihn zu Fall bringen.
An fünf bis sechs Terminen im Monat hat das Dunkelcafé für Gruppen geöffnet, die genauen Termine werden nach Absprache getroffen. Noch bis zum Freitag ist das Café den gesamten Tag geöffnet, abends bietet es auch warme Speisen an. Im Gänsemarsch geht es in die Räume des Dunkelcafés, jeder fasst dem Vordermann an die Schulter, bloß nicht den Anschluss verlieren, denn hinter einer Lichtschleuse ist es wirklich komplett duster, kein einziger Lichtstrahl verirrt sich hier herein. Mit kleinen Schritten geht es voran. Kellnerin Andrea, die selbst fast vollständig erblindet ist, führt einen zum Tisch und hilft beim Hinsetzen. Am Nachbartisch scheinen schon mehrere Leute zu sitzen – drei oder vier? In dem Stimmengewirr ist keine genaue Zuordnung möglich. Nur die Tischplatte vor einem bietet jetzt noch Orientierung. Die Milch in den Kaffee zu gießen wird zu einer Herausforderung. Stück für Stück den Tassenrand abtasten, um nichts danebenzuschütten.
Andrea setzt sich zu uns und erzählt von ihrem Leben. Ihr Mann ist vollständig blind, sie selbst kann Personen und andere Dinge nur in direkter Nähe zu ihrem Gesicht erkennen. Im Alltag gibt es für sie und ihren Mann viele Herausforderungen: „Wir gehen immer in die gleichen Supermärkte, am liebsten solche, die nicht ständig ihre Regale umräumen. Das erschwert unnötig die Orientierung“, sagt sie ruhig mit warmer Stimme. Der Klang ihrer Stimme prägt sich ein, es gibt keine äußeren Dinge, die man sich merken könnte. Denn obwohl sie nur wenige Zentimeter vor einem sitzt, lässt sich nicht einmal ihre Statur erahnen. Im Würzburg geht Andrea ohne Blindenstock durch die Straßen, „aber nur, weil ich mich hier auskenne“, erzählt sie. „In fremden Städten habe ich immer den Stock bei mir.“
Rund 45 Minuten sitzen die Besucher in völliger Dunkelheit am Tisch; vielleicht ist es Einbildung, aber der Kaffee scheint intensiver zu schmecken als sehend. Im Gänsemarsch geht es zum Schluss wieder ans Licht – eine Erleichterung, denn nach einiger Zeit macht sich ein beklemmendes Gefühl in der Dunkelheit breit. Immer wieder versuchten die Augen angestrengt wenigstens kleine Konturen zu erkennen – vergebens.
Wer sich selbst in die Lage eines Blinden hineinversetzen möchte, kann das im Rahmen der Projektwoche noch bis Freitag, 29. Oktober, tun. Eine Tischreservierung für das Dunkelcafé wird empfohlen unter Telefon 0931/38663155. Gruppen können sich dort auch außerhalb der Projektwoche für einen Termin im Café anmelden.
(4310/1345; E-Mail voraus)
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