Liebe Schwestern und Brüder,
im vergangenen Jahr, das im Bistum Würzburg unter dem Leitthema: „Jetzt ist die Zeit der Gnade!“ stand, durften wir viele große und berührende Ereignisse erleben.
Unsere Domsingknaben feierten im Februar das 50-jährige Bestehen ihrer Chorgemeinschaft am Würzburger Dom. Die Mädchen zogen im November dieses Jahres mit der Feier ‚40 Jahre Mädchenkantorei’, nach. Wie viel Segen von dieser Chorarbeit ausgeht, konnten alle miterleben, die an einer dieser Feiern teilgenommen haben. Dem Domkapellmeister und Domorganisten, dem Domkantor, den Chorleitern, Stimmbildnern und Musikern kommt dabei ebenso ein herzliches ‚Danke’ zu, wie den Eltern, ihren Kindern und den Jugendlichen, die miteinander viel Zeit aufbringen und keine Mühen scheuen, um über das hohe Kulturgut der Musik, Gott zu loben und die feiernde Gemeinde zu erfreuen.
Einen ganz wichtigen Glanzpunkt setzte in diesem Zusammenhang auch das nationale große Pueri-Cantores-Treffen in Würzburg. In diesen Julitagen legte sich durch den Gesang der mehr als 3000 jungen Sängerinnen und Sänger eine Klangwolke über Würzburg. In den Straßen, auf den Plätzen und in vielen Kirchen brachten diese Kinder und Jugendlichen die Herzen der Würzburger – und darüber hinaus auch an vielen anderen Orten unseres Bistums – zum Klingen. Der große Abschluss mit dem Pontifikalamt am 16. Juli, das auch vom Bayerischen Fernsehen übertragen wurde, sprengte alle bisherigen Rekorde: So viele begeisterte junge Stimmen hatte selbst der altehrwürdige Kiliansdom noch nicht erlebt.
Die Gunst der Stunde kam diesem Großereignis entgegen. Da der Dom für anderthalb Jahre geschlossen wird, damit die nötigen Renovierungsarbeiten ausgeführt werden können, konnten alle Bankreihen ausgeräumt werden und somit Platz für die vielen Kinder und Jugendlichen gewonnen werden. Unsere Kathedrale wird hoffentlich in strahlendem Glanz am ersten Adventssonntag 2012 wieder eröffnet werden.
Ein noch größeres Ereignis wurde uns in der Seligsprechung von Pfarrer Georg Häfner (1900-1942) geschenkt. Die Monate März und April dienten der Vorbereitung der Seligsprechung. Es wurden nicht nur viele Predigten in den einzelnen Dekanaten und Wirkungsstätten des Priesters Georg Häfner gehalten, sondern auch zahlreiche Vorträge, Andachten und Wallfahrten abgehalten. Gerade seine letzte Wirkungsstätte in Oberschwarzach wurde durch die Einrichtung einer Gedenkstätte in der Kirche zum Wallfahrtsziel vieler Menschen. Aber auch die Krypta von Neumünster, in der die Asche von Pfarrer Georg Häfner aus dem Krematorium von Dachau aufbewahrt wird, ist Ziel vieler Beter.
Die Feier der Seligsprechung am 15. Mai 2011 war für die zahlreichen Mitfeiernden ein unvergessliches Erlebnis. Über das Fernsehen konnten viele tausende Menschen weit über unser Bistum hinaus an den Feierlichkeiten teilnehmen.
Nicht zu vergessen ist der Papstbesuch in unserem Lande vom 22. bis 25. September. Dieses Jahrhundertereignis wird uns noch lange beschäftigen, denn der Heilige Vater hat nicht nur mit seiner gewichtigen Rede vor dem Deutschen Bundestag, sondern auch mit seinem für die Ökumene wichtigen Besuch in der Augustinerkirche in Erfurt und seiner Ansprache im Freiburger Konzerthaus bleibende Maßstäbe gesetzt.
Vor dem Bundestag hat Papst Benedikt „mit seinem Hinweis auf die Ökologie oder Hausordnung der Schöpfung bei der Suche nach den Grundlagen von Recht und Gerechtigkeit“ (Pfr. H.J. Schmitz, Adventspredigten 2011: ‚Wo Gott ist, da ist Zukunft’, 7) aufgezeigt, dass das „ehrliche und aufmerksame Hinhören auf die Stimme unseres Herzens und Gewissens, eben auf die der menschlichen ‚Natur’ wie die der Schöpfung, nicht nur zutiefst vernünftig ist, sondern uns im Glauben auch auf direktem Weg zu Gott hinführt.“ (Vgl. ebd.)
Der Besuch im Erfurter Augustinerkloster sprach zeichenhaft aus der Handlung. Zum ersten Male in der Geschichte besuchte ein Papst das Kloster, in dem Martin Luther gelebt und gelehrt hatte. Nicht ökumenische Erwartungen, die als Ziel noch ausstehender sicherlich auch langwieriger Bemühungen zu erarbeiten sind, konnte der Papst mit einem Wort erfüllen. Die Tatsache aber, dass er das Bemühen Martin Luthers um Wahrheit in seinem Besuch an dem Ort würdigte, von dem aus Martin Luther in seiner Suche nach einem ‚gnädigen Gott’ umgetrieben wurde, lässt hoffnungsvoll in die ökumenische Zukunft schauen.
Papst Benedikt hat in seiner Freiburger Rede eine Situations-Analyse der deutschen Kirche vorgelegt, die neben Begeisterung auch Verwunderung ausgelöst hat. Er sagte unter anderem:
„Stellen Sie sich vor, Experten aus einem fernen Land würden sich aufmachen, um eine Woche bei einer deutschen Durchschnittsfamilie zu leben. Sie würden hier vieles bewundern, den Wohlstand, die Ordnung und die Effizienz. Aber sie würden mit unvoreingenommenem Blick auch viel Armut feststellen: Armut, was die menschlichen Beziehungen betrifft, und Armut im religiösen Bereich…“ Und der Papst sagte weiter: „Lassen Sie mich hier einen Punkt der spezifischen Situation in Deutschland ansprechen. In Deutschland ist die Kirche bestens organisiert. Aber steht hinter den Strukturen auch die entsprechende geistige Kraft des Glaubens an den lebendigen Gott? Ich denke, ehrlicherweise müssen wir doch sagen, dass es bei uns einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt. Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens.“
Dabei nennt der Papst nüchterne Fakten: „Seit Jahrzehnten erleben wir einen Rückgang der religiösen Praxis, stellen wir eine zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben fest. Es kommt die Frage auf: Muss die Kirche sich ändern? Muss sie sich nicht in ihren Ämtern und Strukturen der Gegenwart anpassen, um die suchenden zweifelnden Menschen von heute zu erreichen?“ – Das sind in der Tat die existentiellen Lebens- ja, Überlebensfragen für unsere Kirche hierzulande.
Am Ende dieses ereignisreichen Jahres kann uns durch die Ausführungen des Papstes klar werden, was die Sendung der Kirche heute ausmacht: „Unser Auftrag (ist)…es, die göttliche Liebe, die sich verströmen, sich verschenken will, zu leben und weiterzugeben“:
„Sie ist in der Menschwerdung und Hingabe des Sohnes Gottes in besonderer Weise auf die Menschen zugekommen.“ In Jesus Christus ist Gott selbst „aus dem Rahmen seines Gottseins herausgetreten, hat Fleisch angenommen und ist Mensch geworden…“ Allein unseretwegen hat Gott (seinen) den Himmel verlassen, … hinter sich gelassen, einzig um unser ganzes Menschenleben hier auf Erden vom Geborenwerden bis zum Sterben mit uns zu teilen – einzig die Sünde ausgenommen; Gott selbst nimmt damit „die Armut des Bettlers als Reichtum“ an; der Papst spricht mit den Kirchenvätern von einem ‚heiligen Tausch’, auf den Gott sich in Jesus Christus mit uns Menschen eingelassen hat: Gott ‚entäußert’ sich, wie es schon die ersten Christen im ältesten Christus-Hymnus besingen (Phil 2,6-11); er macht sich dabei zum Sklaven aller bis zum Tod, bis in den Tod am Kreuz, damit wir Menschen zu Gott aufsteigen und ‚wirklich Partner Gottes’ werden; „Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gotte werde!“, schrieb der Kirchenvater Irenäus von Lyon (+ um 200).
So wie Gott selbst sich den Sorgen der Welt öffnet und sich ihnen ausliefert, so hat auch die Kirche nach den Worten des Papstes den Auftrag, „den heiligen Tausch, der mit der Menschwerdung begonnen hat, weiterzuführen und gegenwärtig zu machen“.
Der Papst beobachtet freilich „auch eine gegenläufige Tendenz, dass nämlich die Kirche sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam wird und sich den Maßstäben der Welt angleicht“. Mitten in der Welt, ist sie doch nicht von dieser Welt! (Joh 17).
Sein Aufruf, vor diesem Hintergrund und in diesem Sinne über eine notwendige „Ent-Weltlichung“ der Kirche nachzudenken, löste bei vielen eher Unverständnis, Kopfschütteln und Dementis aus: Keinesfalls wolle der Heilige Vater damit an diese oder jene Gewohnheiten in der deutschen Kirche rühren; aus seinen grundsätzlichen Betrachtungen ließen sich so ohne weiteres keine konkreten Rückschlüsse für die alltägliche Praxis ziehen.
Es geht nicht um ein Zurückziehen aus der Welt – Kirche ist zwar nicht von dieser Welt, lebt aber mitten in ihr. Es geht vielmehr um ihren missionarischen Auftrag, die Welt mit dem Evangelium zu durchdringen.
So antwortet der Papst auf die Frage „Muss die Kirche sich ändern?“ mit einem entschiedenen „Ja“ – und verweist dabei auf Mutter Teresa, die einmal gefragt wurde, was sich ihrer Meinung nach als erstes in der Kirche ändern müsse: Ihre Antwort: „Sie und ich.“
Das Leitthema des kommenden Jahres lautet im Bistum Würzburg: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ Bereits 2010 ließen uns noch viele andere Ereignisse weitere ‚Mauern überspringen’. Ich denke dabei zum Beispiel an den Weltjugendtag in Madrid (August), an die ermutigende Visitation in Obernburg (November) und an die einmalige Schiffswallfahrt nach Köln zu den Heiligen Drei Königen (November).
Leider liegen mir noch keine genauen statistischen Zahlen dieses Jahres vor. Aber es kann gesagt werden, dass die Kirchenaustritte gegenüber 2010 zurückgegangen sind. Die Wiedereintritte und Konversionen dürften in etwa dem Jahre 2010 gleichkommen.
Möge das kommende Jahr, in dem wir in der Pfingstwoche wieder eine große Bistumswallfahrt der Generationen nach Lourdes planen, eine Partnerschaft mit dem neu gegründeten Bistum Óbidos im Amazonasgebiet eingehen und die Partnerschaft mit dem tansanischen Bistum Mbinga festigen, vom Segen Gottes geprägt werden und uns weiter „Mauern überspringen“ lassen! Amen.
Gebet am Ende eines Jahres:
Ewiger Gott, die Tage zerrinnen uns zwischen den Händen. Du aber bleibst. Unsere Zukunft liegt in Deiner Hand. Sei uns nahe in der Kraft Deines Geistes, beschütze uns Tag für Tag und führe uns in Dein unvergängliches Licht. Amen.