Würzburg (POW) Der Geruch von altem Zigarettenqualm und ein lautes Stimmengewirr bestimmen die Atmosphäre im Raum. Doch statt eines gemütlichen Kneipentresens stehen im großen Raum ein halbes Dutzend weißer Holztische. Fast alle Stühle daran sind besetzt. Mittagszeit in der Wärmestube in der Rüdigerstraße 2 in Würzburg. Ein Ort für „Menschen, in besonderen sozialen Schwierigkeiten“, wie es auf Amtsdeutsch heißt, für Obdachlose und Menschen die kurz davor stehen, würde der Volksmund sagen.
Einer von ihnen ist Klaus M.* Der 49-Jährige sieht älter aus – so wie viele hier. Er ist gelernter Bäckermeister, später schulte er auf Busfahrer um. Eine Frau, einen Sohn – so weit, so normal. Dann ging seine Ehe in die Brüche, M. fing das Trinken an und wurde im Jahr 2003 mit 1,4 Promille hinterm Steuer erwischt. „Da war ich privat unterwegs, nicht mit Fahrgästen im Bus“, betont M. Führerschein und Job war er trotzdem sofort los. Arbeitslosengeld gab es erst mal nicht, schließlich war der Jobverlust selbstverschuldet, erzählt er. Rechnungen konnte M. nicht mehr bezahlen, schließlich wurde ihm der Strom abgestellt. „Ich war mit einem Ruck drei Etagen tiefer im Leben“, sagt M. und nimmt einen tiefen Zug an der Zigarette, seiner ständigen Begleiterin. Er beschloss, nur noch in einem kleinen Wohnwagen auf einem Campingplatz zu leben. Erzählt hat er nur seinem Sohn etwas und den Kindern seiner neuen Freundin. „Ich wollte meine Ruhe haben. Es ist ein Teufelskreis, du säufst dich immer tiefer runter“, sagt M. und redet sich dabei in Rage. Er weiß, dass er selbst an der Situation schuld war, und gerade das macht ihn wütend. Durch andere Obdachlose hat M. 2006 die Wärmestube der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft kennengelernt. Durch die Einrichtung ist er in eine Entzugstherapie gekommen und hat Kurse besucht, um als Altenpfleger zu arbeiten. Inzwischen lebt er wieder in einer kleinen Wohnung.
Sozialpädagogin Brigitte Abt ist seit 1998 in der Wärmestube beschäftigt. Es sind die kleinen Erfolge wie im Fall M., die ihr Hoffnung für die Arbeit geben. Die kann sie auch gut gebrauchen, Rückschläge gibt es viele. „In der vergangenen Woche mussten wir einen Besucher von der Polizei abholen und ihn in die Psychiatrie einweisen lassen“, sagt sie. Alkohol und schlimme Kriegserlebnisse führten bei ihm zu Wahnvorstellungen. Abt ist eine Frau, der man ansieht, dass sie sich auch bei schwierigen Besuchern durchsetzen kann. Ihre kräftige Stimme und das schwarze Jackett verleihen ihr eine natürliche Autorität. Rund 60 Leute kommen jeden Tag in die Wärmestube, das sei nicht immer so gewesen, erzählt Abt: „In den vergangenen zwei Jahren hat die Zahl der Bedürftigen deutlich zugenommen.“ Es sei immer leichter, in die Armutsschleife zu geraten, und immer schwerer, wieder herauszufinden. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Schulden, Sucht und Einsamkeit bedingen und verstärken sich oft gegenseitig. Das Armutsrisiko scheint vielfältig. „Es kann jeden treffen“, sagt Abt.
In der Wärmestube sitzt auch ein verbeamteter und inzwischen pensionierter Grundschullehrer: Dieter S.* kommt täglich in die Wärmestube. Seine Gesichtshaut wirkt von der Witterung gezeichnet. Die Falten erzählen die Erlebnisse eines Mannes, der vom Lehrerpult ins Gefängnis rutschte. Vor einigen Jahren ging er in den Vorruhestand und zog in eine kleinere Wohnung um. Dort habe er sich von seinen Nachbarn belästigt gefühlt. Er zog wegen Ruhestörung vor Gericht und verlor. Mehr noch: „Wenig später habe ich mich auf der Anklagebank wiedergefunden, wegen falscher Verdächtigung.“ Weil er die Gerichtskosten nicht bezahlen konnte, habe er im Frühjahr dieses Jahres für 40 Tage in Haft gemusst. Jetzt lebt S. in einem Männerwohnheim. Zu seiner Exfrau und seinen Kindern hat er den Kontakt schon lange abgebrochen: „Sie wissen nicht, dass ich im Knast saß“, sagt er. Kontakt will er zu ihnen auch nicht haben, das erinnere ihn zu sehr an die Vergangenheit, und mit der habe er abgeschlossen. Das Gefühl, als Lehrer im Gefängnis zu sitzen, beschreibt S. als „Sturz von der Kirchturmspitze“. Seine Ängste während der Inhaftierung hat er in selbstgeschriebenen Gedichten verarbeitet. Im neuen Jahr möchte er sich wieder aktiv auf Wohnungssuche machen.
Über 80 Prozent der Besucher in der Wärmestube sind arbeitslos, fast die gleiche Anzahl hat keinen festen Wohnsitz. Mehr als jeder zweite kommt schon seit mindestens einem Jahr hierher. Die meiste Arbeit in der Wärmestube leisten Ehrenamtliche. Ab Monatsmitte haben sie besonders viel zu tun: „Da geht den Leuten langsam das Geld aus, da fehlt es an allen Ecken und Enden“, sagt Abt. Auch bei der medizinischen Versorgung. Daher kommt Bruder Tobias Matheis von den Franziskaner-Minoriten mehrmals in der Woche vorbei, um das Nötigste zusammen mit einem Mediziner zu behandeln. Bruder Tobias ist Krankenpfleger. Bei der Behandlung ist er auf gespendete Medikamente angewiesen, die er aber nur direkt vor Ort verabreicht. Die Missbrauchsgefahr ist zu groß, gerade bei Schmerzmitteln.
Gegen seelischen Schmerz gibt es keine Medikamente, aber der soll zu Weihnachten in der Einrichtung zumindest etwas gelindert werden. Daher bauen die Besucher einen Tannenbaum auf und schmücken ihn. „Das weckt schöne Erinnerungen“, sagt Abt. An Heiligabend soll bei Plätzchen gemeinsam gesungen werden, ein Wohnungsloser möchte dazu Geige spielen. „Und kleine Geschenke gibt es auch“, verrät Abt.
Gerade in der Adventszeit ist der Wunsch nach Gesprächen groß, deswegen kommt auch Paul H.* in die Wärmestube. Zusammen mit einer Tasse Kaffee und der kostenlosen Tageszeitung ist der Besuch für ihn Abwechslung in seinem tristen Alltag. H. führt noch einen kleinen, eigenen Haushalt. Zu seinen beiden Töchtern hat er keinen Kontakt, seinen Sohn hat H. sogar noch nie gesehen. Stolz zeigt er ein völlig vergilbtes Blatt Papier. „Das ist meine Sozialversicherungskarte von 1967“, sagt er und grinst über sein ganzes Gesicht. „Die trage ich immer bei mir. Erinnerungen an bessere Zeiten“, sagt H., der bis Anfang der 1990er Jahre als Bäckermeister gearbeitet hat. Sein größter Weihnachtswunsch: Seine drei Kinder wiedersehen.
* Alle Namen von der Redaktion geändert.
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