Würzburg (POW): 26 Jahre, länger als eine normale „lebenslängliche“ Strafe dauert, ist Antonio Lucchetta in der Würzburger Justizvollzugsanstalt (JVA) gewesen. Doch Lucchetta kam immer freiwillig und konnte auch jederzeit wieder gehen. Der gebürtige Italiener war im Juni 1979 nach Deutschland übergesiedelt. Wenige Monate später nahm er als Sozialarbeiter seinen Dienst beim Diözesanverband der Caritas auf. Seine Hauptaufgabe bestand hier in der Betreuung ausländischer – hauptsächlich italienischer – Gastarbeiter und ihrer Familien. Lucchetta kümmerte sich auch um seine inhaftierten Landsleute, deren Zahl im Laufe der neunziger Jahre infolge von Drogenkurierdiensten nach Holland stark anwuchs. Zeitweilig bildeten die Italiener die stärkste Ausländergruppe in der JVA. Ohne deutsche Sprachkenntnisse und weit ab von Familie und vertrauter Umgebung ist es für sie hart, hier einige Jahre auszuharren. Lucchetta war für sie oft das einzige Bindeglied nach Hause, sein Büro nicht selten ein kleines Ersatzkonsulat.
In der Würzburger JVA sei er immer die gute Seele gewesen, betonten der katholische Seelsorger Josef Gerspitzer und der stellvertretende Anstaltsleiter Thomas Vogt bei seiner Verabschiedung. Als Mittler zwischen Gefangenen und Verwaltung sei er häufig sehr wichtig gewesen, sagte Vogt. „Ohne ihn hätte hier ein Stück Menschlichkeit gefehlt.“ Er sei immer gekommen, wenn man ihn gebraucht habe, habe unkompliziert geholfen, gedolmetscht und Kontakte vermittelt. „Antonio hat die Probleme immer beim Namen genannt und sich bis zuletzt eingesetzt“, erklärte Gerspitzer. „Es ist nie mit einem Vorwurf gekommen, hat jedem die Hand gereicht und beim ‚Aufstehen’ geholfen. Doch ‚aufstehen’ mussten sie alle selbst.“ Seine Unvoreingenommenheit gegenüber den Gefangenen begründete Lucchetta selbst mit einem Sprichwort: „Der Richter beurteilt die Tat. Der Gutachter das Motiv. Aber Gott allein kennt den wahren Grund.“
In 26 Jahren hat Lucchetta viele persönliche Schicksale erlebt. Fast alle der inhaftierten Drogenkuriere stammen aus kaputten Familienverhältnissen. An eine junge Italienerin erinnert er sich besonders gerne. Sie war mit ihrem Freund nach Holland gefahren, um Drogen zu holen. Auf der Heimfahrt flogen sie auf, wurden verhaftet, verurteilt und kamen in die Würzburger JVA. Lucchetta besuchte sie oft. Dass die Frau mit dem Gericht zusammenarbeitete und ihr Auftraggeber in Italien schließlich verhaftet werden konnte, habe ihn gefreut. Beeinflusst habe er dieses Ergebnis jedoch nicht. Er konnte aber der Frau helfen und ihr Abrutschen in die endgültige Drogenlaufbahn verhindern. Sie sei ihm bis heute dankbar. Und obwohl diese Geschichte einige Jahre her ist, melde sich die junge Frau immer wieder bei ihm.
Dem Publikum in der JVA gefiel der Abend mit der Verabschiedung. Denn den über 100 anwesenden Gefangenen – unten die Männer, oben auf der Empore die Frauen – wurde vorab ein abwechslungsreiches Programm geboten. Die Gela ´84, eine Laiengruppe aus Gerbrunn, präsentierte ihr Kabarettprogramm „Es schillert in Deutschland“. Zu jeder Nummer gab es Applaus und Gejohle. So richtig in Fahrt kam das Publikum bei italienischen Ohrwürmern wie „Marina, Marina, Marina“ des italienische Alleinunterhalters Walter Fusella und Opernarien des Sängers Andreas Götz.
lh (Caritas)
(0806/0308)