Liebe Schwestern und Brüder,
ein Kennzeichen unserer heutigen Zeit ist das Unterwegssein. Noch nie gab es eine menschliche Epoche, in der so viel, so weit und so schnell gereist werden konnte wie heute. Ob mit dem Auto, dem Zug, dem Schiff oder dem Flugzeug – die Sehnsucht nach der Ferne bestimmt das Urlaubsverhalten ebenso wie die Träume aus dem täglichen Allerlei ausbrechen zu können. Mit dem alten Schlager: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ wird der Hunger nach Weite, nach Freiheit und Abenteuerlust hörbar.
Ich will und kann dieses heutige Lebensgefühl nicht analysieren. Aber es ist klar, dass dies nicht isoliert für das Wohlbefinden des Menschen steht. Vielmehr scheint mir der Impuls, unterwegs sein zu müssen, eine Urerfahrung des Menschen zu sein. Mit dem Hineingeborenwerden in diese Welt hat der Mensch eine Sehnsucht nach einem Ziel mitbekommen, das ihn lockt. Für viele ist dieses Ziel heute verunklärt. Es geht der Spruch vom „Der Weg ist das Ziel“ um. Dabei denken sicherlich die meisten nicht an den Jakobsweg, der ja auch nicht das eigentliche Ziel ist, sondern der heilige Jakobus in Santiago de Compostela. Und unser Unterwegssein hat nur dann einen Sinn, wenn wir ein Ziel haben. Der heilige Augustinus formulierte einmal: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir, o Herr.“ Diese Sehnsucht nach Gott – ob sie einem bewusst ist oder nicht – ist der Motor unseres Lebens.
Die Wüstenwanderung des Volkes Israel während der unglaublich langen Zeit von 40 Jahren ist Hinweis und Sinnbild unserer irdischen Pilgerschaft. Die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens und die Verheißung des gelobten Landes waren Anlass und Motor für diesen schwierigen Weg. Natürlich hat das Volk unterwegs nicht nur gejubelt. Hunger und Durst quälten die Menschen und brachten sie gegen Mose und Aaron auf, ja, ließen sogar den Wunsch aufkommen, sie zu töten. Mose bittet Gott um tatkräftige Hilfe und erhält sie: Wasser fließt aus dem Felsen und Manna fällt vom Himmel.
In der heutigen ersten Lesung (Dtn 8) erklärt Mose dem Volk, dass Gott sie habe prüfen wollen. Und wörtlich: „Durch Hunger hat er dich gefügig gemacht und hat dich dann mit Manna gespeist… Er wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von jedem Wort lebt, das aus dem Mund des Herrn hervorgeht.“ (Dtn 8,3)
Der irdische Hunger kann unendlich weh tun. Und es ist ein Skandal, dass etwa zwei Drittel der Menschheit Hunger leiden. Aber der Hunger nach Leben, nach Geborgenheit, Gerechtigkeit und Frieden kann ebenso quälen und Menschen geradezu in die Verzweiflung treiben. Der Hunger nach Gott ergreift die innerste Mitte des Menschen, da er die Sehnsucht nach ewigem Leben in sich trägt.
Beim Wunder der Brotvermehrung hat Jesus Tausende gespeist. Er brandmarkte das Verhalten der Gesättigten, die ihm zum König machen wollten, weil sie in ihm einen billigen Essensbeschaffer zu finden glaubten.
Mit den eucharistischen Gaben, von denen wir gerade durch Paulus im ersten Korintherbrief (1 Kor 10,16-17) und dann im Johannesevangelium (Joh 6,51-58) gehört haben, gibt sich Jesus uns selbst zur Speise. Dies gehört mit zu den größten Wundern, die Gottes greifbare Liebe zu uns ganz persönlich erfahrbar machen.
In der Synagoge von Kafarnaum sagte Jesus: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt.“ (Joh 6,51)
Dies wurde damals nicht unwidersprochen hingenommen. Der Streit der Zuhörer wuchs: „Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?“ (Joh 6,52) Auch heute kann man ähnliche Kritik hören wie: Kann denn Christus in dieser kleinen Hostie gegenwärtig sein? Findet denn wirklich eine Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Jesu Christi statt?
Ja, liebe Schwestern und Brüder, bei der heiligen Kommunion handelt es sich wirklich um das Fleisch und Blut Jesu Christi. Am Kreuz hat er sich für uns aufgeopfert. Und diese Liebestat vergegenwärtigt er jeweils in dem Geschehen der heiligen Messe. Wir erinnern uns nicht nur an das, was damals geschehen ist, sondern nehmen direkt und unmittelbar daran teil.
Aus Freude und Dankbarkeit für dieses Geschenk, das sich als ‚Pilgerspeise’ auf dem Weg in die Ewigkeit erweist, feiern wir Fronleichnam.
Dieses Geschenk wollen wir mit unseren Mitmenschen teilen. Deshalb ziehen wir durch die Straßen unserer Städte und Dörfer und preisen den Herrn, der unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig ist. Trauen wir Christus, der uns verheißt, dass wir bei würdigem Empfang dieser Speise, mit ihm verbunden bleiben auf dem Weg und in ihm das Ziel unseres irdischen Pilgerweges, das ewige Leben, erhalten.
Zugleich ist dieses Fest aber auch der Aufruf, den Armen und Hilfsbedürftigen beizustehen. Wir können nicht unser irdisches Pilgerziel für uns alleine erreichen. Weil auch wir in den Leib Christi hinein berufen sind, sind wir füreinander verantwortlich. Es gilt, mit allen Möglichkeiten den irdischen Hunger zu stillen, damit der Hunger nach dem ewigen Leben nicht erstickt wird.
„Seht, jetzt ist die Zeit der Gnade!“ dürfen wir rufen und singen, denn jetzt schenkt sich uns der Herr und weist uns den Weg zum ewigen Leben. Amen