Wir haben die Welt nicht im Griff und das Leben nicht in der Hand. Wie viel ist da aus den Fugen geraten? Wie oft stehen wir Entwicklungen hilflos gegenüber? Wir schauen in die Welt. Sie ist uns präsent am frühen Morgen in der Zeitung, hautnah auf dem Bildschirm am Laptop. Wir sehen die Konflikte im Nahen Osten, wir spüren die Bedrohung im Fernen Osten durch das Spielen mit der Atomkraft. Wir sehen die Überlebenskämpfe von Hungernden und Vertriebenen auf dem afrikanischen Kontinent. Wir wissen, dass zum Beispiel die Zerstörungen des Urwaldes am Amazonas nicht nur in ein ökologisches System eingreifen, sondern auch Arme immer ärmer und Reiche immer reicher werden lassen.
Und der Raum des Glaubens, die Kirche ist auch keine heile Welt. Gewiss dürfen wir mit einer großen Hoffnung leben, dass Unheil und Versagen nicht das letzte Wort haben, aber dass Strukturen von Schuld und Sünde zu uns gehören. Wir wissen auch nicht so recht, wie es in einer sich stets verändernden Welt weitergeht. Wir können Entwicklungen in den Blick nehmen, aber nicht aufhalten. Darum hat Papst Benedikt XVI. zu einem „Jahr des Glaubens“ eingeladen, damit das Vertrauen in Gott neu stark wird in unserem Glaubensleben. Dabei ist sein Rücktritt auch noch einmal eine Herausforderung, alles Vertrauen in Gott, der uns in Jesus Christus seine Nähe gezeigt hat, zu legen. Er ist der Herr der Zeit und der Herr der Kirche.
Wir haben die Welt nicht im Griff und das Leben nicht in der Hand. Was wir in der großen Welt erkennen und sehen, gilt auch für unsere kleine Welt im privaten und persönlichen Leben. Welche Hoffnungen und Erwartungen legen wir in unsere Beziehungen, in die Kinder, in den Beruf, in unser alltägliches Sorgen und Mühen. Und dann kommt alles so anders, manchmal unvorhergesehen, bisweilen nicht zum Aushalten und Ertragen. Alles erscheint chaotisch, wirr und durcheinander. Plötzlich geht nichts mehr, bisweilen stehen wir vor dem Nichts. Im Blick auf die große und kleine Welt könnte man meinen, alles und alle sind von allen guten Geistern verlassen.
Im Glaubensbekenntnis sagen wir: „Ich glaube an den Heiligen Geist“. Der Glaube setzt einen Kontrapunkt zum erfahrenen Leben. Der Gläubige kennt das Chaos des Lebens, er weiß aber auch, dass es eine ordnende Kraft gibt, die von Gott her kommt. Gottes Geist schafft Neues, Gottes Geist stärkt und Gottes Geist führt zur Vollendung.
Gottes Geist schafft Neues. Was wir so oft am Ende all unseres Mühens und Schaffens erfahren, steht am Anfang der Schöpfungsgeschichte. Der Geist Gottes steht über einer chaotischen Welt als eine ordnende, Leben schaffende Macht. Das besingt der Erzähler des ersten Schöpfungsberichtes. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,1-2). Der Bericht bringt eine Menschheitserfahrung zum Ausdruck und will das Vertrauen in den Schöpfer stärken.
Die Schöpfung ist die ordnende Tätigkeit Gottes. Wo wir aus seiner Schöpfung heraustreten, uns selbst als Schöpfer und Macher wähnen, entstehen Unordnung und Chaos. So haucht der Schöpfer, der aus dem Nichts alles schafft, am Ende seiner Schöpfung dem Menschen, seinem Ebenbild, seinen Geist ein. Solange der Mensch auf Gott hin und durch ihn lebt, kann er in Ruhe leben, wie am siebten Schöpfungstag der Herr. Da hat der Mensch im wahrsten Sinne paradiesische Verhältnisse.
Gottes Geist stärkt. Wo wir am Ende mit unseren Kräften und unserem Vermögen, unserem Sehnen und Hoffen sind, verschließen wir uns, machen wir dicht, bis hin zu den Türen unserer Herzen. Das ist die Erfahrung der Jünger nach dem Tod ihres Herrn. Mit ihm haben sie alle Lebens- und Zukunftshoffnungen begraben. Weil sie in der Klemme und Enge sitzen, haben sie Angst vor dem Morgen. Der Auferstandene tritt zu ihnen durch verschlossene Türen und haucht sie an. „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22) spricht er ihnen zu. Es ist ein Akt der Neuschöpfung, des Neuwerdens. „Und alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apg 2,4). Wo Menschen vom Geist Gottes erfüllt sind, von dem Geist, der Liebe ist, öffnen sich alle Türen. Wo die Türen des Herzens offen sind, wird die Sprache der Liebe gesprochen. Und diese Sprache verstehen alle. Wo wir angstfrei aufeinander zugehen, kommt der Himmel auf die Erde. Wir wissen alle allzu gut, wie schnell uns der irdische Alltag, die Erde, mit unseren Schwächen und Begrenztheiten wieder einholt, tagtäglich.
Gottes Geist führt zur Vollendung. Er führt alles, das sagt uns der Glaube, zu einem guten Ende. Seine Kraft ist größer und stärker als die Wirklichkeit, die uns so oft vereinnahmt, dass die Hoffnung verloren zu gehen scheint. Davon spricht der Apostel Paulus im Römerbrief. Mag es auch so scheinen und mögen wir es noch so eindringlich sagen: Ist die Welt noch zu retten? Ist das Kirchenschiff nicht rettungslos den Stürmen der Zeit ausgeliefert? Ist mein Leben nicht hoffnungslos verloren? „Wir sind gerettet, doch in der Hoffnung“ (Röm 8,24a). Diese Hoffnung ist begründet in Jesus Christus. In ihm hat uns Gott seine Liebe gezeigt. Was wäre er für ein Liebender, Liebhaber, wenn er ewig liebt, Liebe zu seinem Wesen gehört, nicht will, dass der Geliebte, der Mensch, nicht immer bei ihm wäre, ewig lebt und somit nie untergeht? Die Welt ist gerettet durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Der Apostel sagt es uns so: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll (Röm 8,18).
Es gehört wohl mit zu dem großen Vermächtnis, dass uns Papst Benedikt XVI. in der Erklärung zu seinem Rücktritt hinterlässt: „Ich bin mir sehr bewusst, dass dieser Dienst wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet. Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen. Um trotzdem das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen.“ (Benedikt XVI., 11.02.2013). Es ist die Einsicht in die eigene Schwachheit, die Erkenntnis, dass alles Vermögen nur bei Gott liegt. Feiert er darum die Hl. Messe am Aschermittwoch als seinen letzten großen Gottesdienst? Mit dem Aschermittwoch beginnt die österliche Bußzeit. Das ganze Leben der Welt, der Kirche, des Menschen ist eine Zeit der Umkehr und der immer wieder notwendigen Ausrichtung auf Gott und seinen Geist, der zur Vollendung führt. „So nimmt sich der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selbst tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ (Röm 8,26).
Papst Benedikt XVI. weiß, dass das Schiff der Kirche kein Traumschiff und Luxusliner ist. Er spricht vom „Schifflein Petri“, das auf den Wellen und in den Wogen des Weltmeeres zu steuern ist. Demut und Bescheidenheit sind angesagt, auch in unserer Kirche. Wie können wir der Welt ein Zeugnis geben, wenn wir alle selbst nicht sind, was die Welt notwendig braucht. Nicht unser Können, Leisten und Vermögen sichert unsere Zukunft, sondern allein der Glaube und das Vertrauen in Gott und seines stets Neues schaffenden Geistes. Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. „Seht, ich mache alles neu“ (Offb 21,5).
Wir stehen in der österlichen Bußzeit und bereiten uns in den 40 Tagen der Fastenzeit auf das Osterfest vor. Das Osterfest beginnt in der Osternacht mit dem Hören auf Gottes Wort in der ersten Lesung des Schöpfungsberichtes: „Gottes Geist schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,2). Die Osterzeit endet mit dem Pfingstfest und dem Wort des auferstandenen Herrn an die verängstigten Jünger: „Friede sei mit euch!! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20, 21-22).
Die österliche Bußzeit ist in diesem „Jahr des Glaubens“ eine besondere Zeit der Vorbereitung auf das Osterfest, damit wir in der Osternacht, wenn wir nach unserem Glauben gefragt werden: „Glaubt ihr an den Heiligen Geist“, erneut und gestärkt sagen können: „Ja, ich glaube an den Heiligen Geist“. Wir sprechen aus, was wir so oft singen: „Ich glaube, Gott, dass du es bist, in dem wir sind und leben. Ich glaube auch, dass Jesus Christ für uns sich hingegeben. Ich glaube an den Heilgen Geist, der uns im Guten unterweist und uns zum Heile führet“ (GL, Diözese Würzburg, Nr. 812).
Amen.