Wir leben in einer Zeit gewaltiger Veränderungen und Umbrüche. Dies hat es zu allen Zeiten immer schon oder immer wieder gegeben. Sie gehen uns jetzt so nah, wir sind verunsichert, weil wir uns so sicher fühlten und wähnten. Das gilt für Kirche und Welt.
Die Katastrophe von Fukushima hat uns verschärft in Erinnerung gerufen, dass wir das Leben und die Abläufe in der Welt mit all unserem Wissen und Vermögen nicht in der Hand, nicht im Griff haben.
Es gab bei Weitem größere Erdbeben, Tsunamis, Unfälle in Atomkraftwerken. Aber diesmal traf es ein Land mit großem Wissen, hohen Standards, mit viel Vermögen – uns so ähnlich.
Und im Leben der Kirche? Es ist ja nicht so, dass all die Fragen nach Erneuerung plötzlich vom Himmel gefallen wären. Von Evangelisierung reden wir schon seit Jahrzehnten. Wir glaubten, durch unsere Aktivitäten Kirche-Sein zu verlebendigen. Wir sprechen mehr über die Kirche als über den Grund des Kirche-Seins: Gott, der uns in Jesus Christus sein Gesicht gezeigt hat. Wenn 1948 auf dem Katholikentag in Mainz Pater Ivo Zeiger davon spricht: „Deutschland ist Missionsland“, dann meint er nicht 1990, 2000 oder 2011 – er spricht von 1948. Alle Banner wehen, aber er sieht, wie gottvergessen ein Land war und es in die Zukunft geht als Kirche und Gesellschaft. Der äußere Rahmen mag glänzen, innen kann alles leer und hohl sein.
Wir begehen in unserer Diözese das Fest der Frankenapostel Kilian und seiner Gefährten. Wir erinnern uns ihres Glaubens und ihres Zeugnisses. Was mag sie bewegt haben, von Irland aufzubrechen? Im 7. Jahrhundert war Irland eine blühende Klosterlandschaft. In den Klöstern waren Hunderte, ja man sagt Tausende von Mönchen. Sie waren gut versorgt und des Glaubens sicher. In diesem Umfeld brach auf, dass Gott tagtäglich neu zu suchen und zu finden ist. Dies ließ sie das Land verlassen. Dem Wort des Unterwegs-Seins Hand und Fuß zu geben.
Im Weggehen und Loslassen, im Zugehen und Einlassen erfahren sie: Gott genügt – Gott trägt – Gott geht voraus.
Wir haben über Kiliani 2011 das Wort des Apostels Paulus aus dem 2. Korintherbrief geschrieben: „Jetzt ist die Zeit der Gnade“. Der Apostel redet nicht die Verhältnisse schön. Er ruft in Erinnerung, wer die Welt trägt und hält, wer Herr der Welt ist. Er lädt ein, sich ganz Gott anzuvertrauen. Vertrauen können heißt angenommen sein mit den Geschichten, die wir haben und machen – und das sind nicht immer Heilsgeschichten. Angenommen-Sein mit allen Stärken und Schwächen. Wo wir an unsere Grenzen kommen, wo alles unhaltbar ist, darauf vertrauen können: Du bist gehalten, wo alles haltlos ist. Das meint es, wenn der Apostel sagt: „Wir haben nichts und haben doch alles“ (2 Kor 6,10).
Ohne unser Leisten und unser Verdienst – gratis –unverdient und unbezahlt getragen sein in allen Fragen und zu allen Zeiten des Lebens. Das meint Gnade, Gratia. Immer und überall. Gott ist immer da. Das meint: „Jetzt ist die Zeit der Gnade“ (2 Kor 6,2).
Es geht nicht um Schönreden und Wegreden von Problemen, Fragen und Nöten. Es geht darum, Gott, der uns in Jesus Christus seine Liebe gezeigt hat, in die Mitte zu stellen. Und je mehr Gott die Mitte ist, desto weniger kreisen wir um uns selbst, drehen nicht durch, sondern kommen zur Ruhe.
„Jetzt ist die Zeit der Gnade“ – welch ein Zuspruch – Gott geht uns voraus. Gott trägt. Gott allein genügt.
Amen.