Würzburg (POW) Nie mehr dürfen Intoleranz und Hass regieren. Diesen Wunsch haben viele. Auch Elisabeth Göbel wünscht sich das. Noch mehr vielleicht als andere, gehört die 86-Jährige doch zu jenen Menschen, die den 16. März 1945 miterlebt haben. Wie sie im Alter von 13 Jahren die Nacht der Bombardierung Würzburgs überstand, davon berichtete sie beim Kolping-Frauentag. Dieser stand unter der Überschrift „Versöhnung“ und fand am Samstag, 16. März, im Kolping-Center Mainfranken statt, heißt es in einer Pressemitteilung.
Den Zweiten Weltkrieg hat die im Würzburger Stadtteil Sanderau aufgewachsene Seniorin als einzigen Albtraum in Erinnerung. Nicht nur der 16. März sei schrecklich gewesen: „Fast jeden zweiten Tag fielen Sprengbomben.“ Göbel erinnert sich an einen Nachbarn, einen älteren Herrn, der sich eines Tages nach Grombühl zum Gaswerk aufmachte, um seine Koks-Bezugsscheine einzulösen. Er kam bis zum Bahnhof: „Da fielen Bomben, er wurde total zerfetzt.“
Den Abend des 16. März verbrachte sie mit der Mutter und drei Brüdern im Luftschutzkeller. Jeder bangte um sein Leben. Durch eine Detonation in der Nähe sprang die Kellertüre auf. Alles stürzte ins Freie, den Mundschutz übers Gesicht gezogen. „Ich schulterte meinen zweijährigen Bruder und lief mit meinem anderen, zehn Jahre alten Bruder, die Straße hinauf“, erinnert sich Göbel. Die Mutter, damals schwer an Lungenentzündung erkrankt, rannte mit dem dritten Bruder die Straße hinunter: „Wir fanden erst nach drei Tagen wieder zusammen.“ Das Mädchen lief, das Brüderchen auf dem Rücken, die ganze Nacht. Quer über die Weinberge ging es nach Gerbrunn, wo eine Familie aus dem Bekanntenkreis sie aufnahm. „Wir besaßen nichts mehr“, schilderte die Kolpingfrau. In einer Tasche, die sie mit in den Luftschutzkeller genommen hatte, befanden sich lediglich Ausweise, das Stammbuch und etwas Geld.
In den Tagen danach war der Albtraum keineswegs vorüber. Der zehnjährige Bruder machte sich auf den Weg von Gerbrunn hinunter in die Stadt. Und kam völlig schockiert zurück: „In der Ottostraße liegt Leiche an Leiche.“ Elisabeth weigerte sich, in die Stadt zu gehen. Sie hatte genug Tote gesehen: „Mit uns flohen Soldaten aus dem König-Ludwig-Haus, das damals ein Lazarett war.“ Vor allem Männer mit Lungenschüssen wurden hier behandelt. Alle mussten nach dem Bombenangriff raus aus der Klinik. Die wenigsten kamen weit. Auf der Flucht brachen sie tot zusammen.
Hildegard Mark kam wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Würzburg auf die Welt. Sie wuchs inmitten von Ruinen auf. Ihre Kindheit stand im Zeichen des verheerenden Zusammenbruchs. „Vor allem aber hatte ich ja im Mutterleib alles mitbekommen“, sagt sie. Lange konnte sie deshalb keine Böller ertragen, ob an Fasching oder an Silvester. Auch wurde sie stark von den Geschichten ihrer Eltern vom 16. März geprägt, mit denen sie aufwuchs.
Marks Vater war zu jener Zeit nicht mehr im Krieg. Ein Nierenleiden, das er sich im Feld zugezogen hatte, hatte ihn dienstuntauglich gemacht. Bei der Sparkasse war er beschäftigt gewesen. „Eine Kollegin bat ihn, den Dienst am Samstag, dem 17. März, zu übernehmen, weil sie etwas vorhatte. Am Freitag wollte sie dafür für ihn arbeiten.“ Marks Vater war einverstanden. So verabschiedeten sich die beiden ins Wochenende. Der Vater sollte seine Kollegin nie mehr wiedersehen: „Sie kam am 16. März um.“
In seinem Themenvortrag ging Peter Langer von der Kolping-Akademie auf die Bedeutung des Versöhntseins mit sich selbst ein. Sich trotz aller Fehler und Schwächen zu akzeptieren, falle vielen Menschen nicht leicht. Dennoch sei es wichtig. Neigten doch Menschen, die dazu nicht in der Lage seien, dazu, ihren Frust über ihre Unzufriedenheit mit sich selbst negativ auszuleben und sich an anderen abzureagieren, die sie als vermeintlich noch schwächer identifizieren.
In den Workshops am Nachmittag wurde zum Teil das reflektiert, was der Vormittag an Input beschert hatte. Daneben gab es viele kreative Angebote. So zeigte Hildegard Mark, wie man aus Perlen kleine Schutzengel kreiert. Im gleichen Raum erklärte Gerdi Möller den Frauen, wie man mit Hilfe von Bienenwachs-Pastillen Bienenwachstücher herstellt. Die sind eine Alternative zu den wenig nachhaltigen Folien aus Kunststoff oder Aluminium. Neben den bewährten Workshops zu Kräutern, Yoga, Tanz und Stadtführungen besuchte ein Teil der Frauen auch die Palliativstation im Juliusspital. Den Abschlussgottesdienst zelebrierte der ehemalige Diözesanpräses Domkapitular em. Monsignore Hans Herderich, assistiert von Diözesanpräses Diakon Jens Johanni.
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