Würzburg (POW) Eine außergewöhnliche Uraufführung erwartet das Publikum beim Gedenkkonzert am Montag, 16. März, im Würzburger Kiliansdom. Das Werk „Nachtkinder“, das in Verbindung mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms aufgeführt wird, beschreibt aus der Sicht von Zeitzeugen, die damals noch Kinder waren, den Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945. „Es ist ein naiver Blick auf das Grauen“, sagt Domkapellmeister Christian Schmid. Das Werk basiert auf Texten, die Alexander Jansen, freiberuflicher Autor, Heilpädagoge, Musik- und Theatertherapeut, auf der Grundlage der Erinnerungen von Überlebenden jener Nacht verfasst hat. Studentinnen und Studenten der Kompositionsklasse von Professor Robert Platz an der Hochschule für Musik in Würzburg schrieben dazu eine mehrteilige Komposition. Diese wird zudem mit Brahms „Requiem“ zu einem Gesamtwerk „verschmolzen“, wie Platz erklärt: Auf einen Satz der „Nachtkinder“ folgt jeweils ein Satz aus dem „Requiem“.
„Nachtkinder“ beginnt am Morgen des 16. März 1945. Der Himmel ist strahlend blau, die Luft mild. Die Kinder spielen im Hof und an den Gleisen. Das Gedröhne der Panzer und das Kriegerdenkmal sind für sie Alltag. „Mein Vater fiel auch, verging wie ein Hauch, ich kannte ihn kaum“, erzählt ein Kind. Auch an die heulenden Sirenen haben sich alle längst gewöhnt: „Ach, der Alarm ist doch nur kurz. Wir sind doch bald wieder oben.“ Doch im fünften Satz bricht das Grauen über Würzburg herein. Ein Zeitzeuge, der den Bombenangriff von außerhalb beobachtet hatte, vergleicht die brennende Stadt mit einem halben, roten Ei. Andere beschreiben brennende Häuser, brennende Auslagen – und brennende Menschen: „Das soll ich nicht sehn. Ich hab es gesehn.“ Danach ist das Haus nur noch Trümmer. Ein Zeitzeuge erzählt, wie er mit dem Bruder am Bahnsteig stand und auf die Eltern wartete. „Sie kamen nicht. Nicht heute. Nicht morgen.“ Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder strahlend blau, die Luft weht mild. „Das Grauen ist vorbei, aber auch die Kindheit ist zu Ende“, sagt Schmid.
Die intensiven Texte basieren auf Erinnerungen von Zeitzeugen, die Jansen bereits 2009/2010 für das Projekt „Eine Nacht in der Kindheit“ gesammelt hatte. Dieses wurde am 13. März 2010 als Live-Hörspiel im Würzburger Neumünster uraufgeführt. Nun schrieb Jansen auf dieser Grundlage die Texte für „Nachtkinder“. Die Vertonung übernahmen drei Studentinnen und zwei Studenten der Kompositionsklasse von Professor Robert Platz an der Musikhochschule Würzburg. Platz und Schmid lernten sich 2014 bei den Proben für die Uraufführung des Orgelzyklus „Stunden:Buch“ im Kiliansdom kennen, den Platz komponiert hat. „Es war eine große Herausforderung, die ich gerne angenommen habe“, erklärt Platz.
Innerhalb von einem Jahr schrieben Yannik Helm (Fulda), Aydin Pfeiffer (München), Akane Obana (Japan), Ya-Yun Tseng (Taiwan) und Yidan Wang (China) die aus acht Teilen bestehende Komposition sowie eine musikalische Einführung, die vor dem eigentlichen Konzert das Hereinkommen der Zuhörer in den Dom begleiten soll. Für ein solches Projekt sei das „sehr schnell“. Er sei beeindruckt von der „riesigen Leistung“ seiner Studenten, lobt der Professor: „Sie haben das wirklich toll gemacht. An einigen Stellen steigen einem die Nackenhaare hoch.“
Auch für die Studenten war es ein sehr intensives Projekt. Er habe sich beim Lesen gefragt, wie die Kinder damals den Alltag erlebt haben, erzählt Aydin Pfeiffer. Den zweiten Satz „Vom Tage“ habe er deshalb wie ein Kinderlied gestaltet. „Diese kindliche Unschuld wird jedoch von Unheil verheißenden Melodien der Blechbläser aus der Ordnung gebracht.“ Dann würden die Menschen vom „Alarm“ laut und ohne Vorwarnung aus der Ruhe gerissen, erklärt Yannik Helm. Die Kinder würden schnell noch ein paar Spielsachen packen, bevor es hinunter in den Keller geht. Er habe die Musik „bewusst hektisch gehalten“, sagt Helm. Ein repetitiver Akkord soll einem „Marschschritt der Angst“ gleichen. „Ein Kind versteht das alles nicht“, sagt Akane Obana. Sie komponierte unter anderem den Abschnitt, in dem es die Treppe hinunter in den Keller geht.
„Sehr schockiert“ habe sie die Stelle, in der die brennende Stadt als „halbes, rotes Ei“ beschrieben wird, sagt Obana. „Meine Großeltern haben mir erzählt, wie es in Japan im Krieg war.“ Um diese unwirkliche Szene musikalisch umzusetzen, habe sie romantische Melodien mit angsteinflößenden, schockierenden Klängen kombiniert. Schier unerträglich wird es, wenn die Menschen aus dem Keller wieder nach oben kommen, mitten hinein in die brennende Stadt. Aydin Pfeiffer verzichtete für hier komplett auf Instrumente. „Ich habe nur die menschliche Stimme verwendet, um das Unvorstellbare musikalisch auszudrücken.“ Nach dem Bombenangriff starren die Menschen auf die Trümmer der Häuser, warten Kinder vergeblich darauf, dass die Eltern zurückkehren. Als sie den Text zum ersten Mal gelesen habe, habe sie sich „sehr einsam“ gefühlt, sagt Ya-Yun Tseng. Deshalb habe sie sehr wenige Instrumente benutzt, um eine dünne und leere Akustik zu erzeugen: „Nicht nur die Häuser sind kaputt, auch die schönen Erinnerungen sind weg.“
Zum Gedenken an den Luftangriff läuten im Anschluss an das Konzert in der Zeit von 21.20 bis 21.40 Uhr die Glocken aller Würzburger Kirchen. Für Yannik Helm haben die Glocken eine besondere Bedeutung. „Noch heute wird in meinem Heimatdorf immer die Glocke geläutet, wenn eine ortsansässige Person gestorben ist“, erklärt er: „Es ist ein tönender Aufruf zum Gebet für die Toten.“ Brahms habe das „Requiem“ als „Trostwerk für die Lebenden, die übrig bleiben, wenn jemand stirbt“ komponiert, erklärt Schmid. Und das sei letztlich auch die Thematik des Gedenkens zum 16. März 1945.
Gedenkkonzert „Nachtkinder – Ein deutsches Requiem“
Das Gedenkkonzert „Nachtkinder – Ein deutsches Requiem“ findet am Montag, 16. März, um 19.30 Uhr im Würzburger Kiliansdom statt. Es singen und spielen der Würzburger Domchor, der Herrenchor der Würzburger Domsingknaben, die Mädchenkantorei am Würzburger Dom, die Solisten Sarah Wegener (Sopran) und Stefan Zenkl (Bariton) sowie die Camerata Würzburg mit Konzertmeister Professor Sören Uhde. Die Leitung hat Domkapellmeister Professor Christian Schmid. Eintrittskarten gibt es zum Stückpreis von 30, 24, 18 und zehn Euro bei der Tourist-Information im Falkenhaus, der Dom-Info sowie im Internet unter www.wuerzburger-dommusik.de.
sti (POW)
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