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Die Familie darf nichts erfahren

Aidswohngruppe der Caritas vor 20 Jahren gegründet – Gottesdienst am 12. November

Würzburg (POW) Otto (Name geändert) ist 57 Jahre alt und gelernter Metzger. Gearbeitet hat er als Schausteller. Otto ist geschieden und hat eine 19-Jährige Tochter, die er – obwohl sie in der gleichen Stadt lebt wie er – meist nur zufällig trifft. Otto ist arbeitslos, hatte lange Zeit Alkoholprobleme und lebt in einer Wohngruppe der Caritas. Zu seiner Mutter und einer Schwester hat er Kontakt, zu seiner Ex-Frau nicht. Ein normales Rand-Schicksal? Bei Otto kommt noch etwas hinzu: er ist HIV-positiv. Seit elf Jahren weiß er es. Seine Mutter und seine Schwester, die ihn in seinem neuen Zuhause schon besucht haben, wissen es nicht. Ob seine Tochter und Ex-Frau es wissen – da ist er sich nicht so sicher. Gesagt hat er es ihnen nicht. Gemerkt hat er es selbst lange Zeit nicht.

1999 war es, als er sich immer schwächer fühlte. Bei der Untersuchung kam es dann heraus. „Bis dahin hatte ich mich noch nie mit Aids beschäftigt“, sagt Otto. Er müsse das Virus schon viele Jahre mit sich herumgetragen haben, waren sich die Ärzte sicher. Wo er sich infiziert hat? Otto weiß es nicht. Doch als Schausteller sei er immer viel herumgekommen. „Andere Städtchen – andere Mädchen.“ Otto muss weinen bei dem Gespräch. Anfangs hatte er versucht, allein zurecht zu kommen. Dann plagte ihn eine Lungenentzündung. Otto erkannte, dass er dauerhaft Betreuung brauchte und bekam einen Platz in der Aids-Wohngruppe der Caritas in Würzburg. „Die neue Gemeinschaft war am Anfang schwer“, sagt er. Doch es fehlt ihm an nichts. Er hat ein sauberes Einzelzimmer, dass er sich selbst gestalten kann, regelmäßiges Essen, eine Gemeinschaft, Betreuung und inzwischen auch Freunde.

Otto muss kurz wieder an den Herd. Heute kocht er für alle, die Gemeinschaftsdienste sind klar verteilt. Nach dem Essen, wenn die Küche wieder klar ist und Otto sich ausgeruht hat, fährt er vielleicht wieder mit seinem Rad los. Manchmal ist er bis zu zwei Stunden unterwegs. Viele andere Möglichkeiten bleiben ihm nicht. Für seinen Traum – eine Flugreise nach Spanien – wird sein Taschengeld wohl nie reichen.

Elfriede (Name geändert) hat ein anderes Ziel. Die 46-Jährige würde gerne wieder mit ihren zwei Töchtern zusammen wohnen, die in einer Pflegefamilie leben. Zwölf Jahre arbeitete Elfriede als Altenpflegerin, bevor sie als Entwicklungshelferin nach Westafrika ging. Dort lernte sie ihren Mann kennen und wurde schwanger. Doch dann kam dieser Verkehrsunfall, Elfriede brauchte eine Blutübertragung – und ist seitdem HIV-positiv, und ihre jetzt zehnjährige Tochter auch. Für Elfriede brach eine Welt zusammen. Ihren Eltern gegenüber hatte sie die Erkrankung lange Zeit verborgen, die Scham war einfach zu groß. Als sie es ihnen später doch erzählte, waren sie fassungslos. Doch Elfriede, die kurz nach dem Unfall mit ihrem afrikanischen Mann nach Deutschland zurückkehrte, hatte sogar den Mut für ein zweites Kind. Das Übertragungsrisiko auf das Ungeborene liegt nur bei ein bis zwei Prozent. Elfriede und ihr zweites Kind hatten Glück, eine Infektion trat bei dem Säugling nicht ein.

Doch mit Elfriede ging es bergab. Erst gesundheitlich, dann verließ ihr Mann sie. Bis Ende 2009 konnte sie ihre Kinder noch versorgen, dann wurde sie zu schwach. Seit Januar 2010 lebt sie wie Otto in der Aids-Wohngruppe. Dreimal am Tag muss sie Medikamente nehmen, morgens fünf, mittags drei, abends vier Pillen. Zum Kochen oder Einkaufen ist sie zu schwach, zu Fuß in die Stadt geht auch nicht. Mit dem Rad raus wie Otto kann sie erst recht nicht. Kurt, ein Mitbewohner, schiebt sie einmal in der Woche im Rollstuhl zur nächsten Kirche. Kurt ist noch stark, einmal hat er Elfriede trotz Steigung den ganzen Rückweg geschoben. Ohne die Wohngruppe, da ist sich Elfriede sicher, könnte sie es nicht mehr schaffen. Und wenn es wieder gut geht mit ihr, möchte sie mit ihren Töchtern, mit denen sie in regelmäßigem Kontakt steht, zusammenziehen.

Ob Elfriede ihr das gelingt? Heidi Brand ist skeptisch. Seit zwölf Jahren arbeitet die 42-Jährige Sozialpädagogin in der Wohngruppe. Von den sechs regulären Plätzen sind fünf besetzt. Eine Bewohnerin ist vor kurzem gestorben. Todesfälle gab es früher hier öfter, sagt Brand, doch die Verbesserung der Medikation gibt Aids-Patienten heute mehr Chancen. Jetzt sterbe vielleicht alle zwei Jahre ein Bewohner, doch bestimmt die Hälfte der Bewohner tausche die Wohngruppe wieder gegen ein selbständiges Leben ein. „Es ist unser oberstes Ziel, die Bewohner wieder in die Selbständigkeit zu entlassen“, sagt Brand. Unterstützt wird sie von vier Kolleginnen in Teilzeit. Am 12. November besteht die Aids-Wohngruppe seit 20 Jahren. Um 14 Uhr wird aus diesem Anlass ein Gottesdienst im Kreuzgang der Augstinerkirche gefeiert. Er steht unter dem Motto: „Voll das Leben“.

(3510/1085; E-Mail voraus)

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