Würzburg (POW) Ingrid Pollak strickt. Monika Sodenkamp strickt. Nicht nur die beiden. Viele Frauen stricken seit Monaten warme Schals. Und dass nur, um es Robert Hutter zu zeigen. Hinter Hutter steht die Staatsmacht, der Mann ist Leiter der Würzburger Justizvollzugsanstalt (JVA). Und Hutter wollte nicht glauben, dass Ingrid Pollak (61) und Monika Sodenkamp (59), die seit vielen Jahren ehrenamtlich Gefangene in der Würzburger JVA betreuen, es schaffen, einen Schal zu stricken, der einmal um die JVA herumreicht.
„Das sind doch nur 1,6 Kilometer“, dachten die beiden Frauen aus Lengfeld, dem Würzburger Stadtteil, der an die JVA angrenzt. Sie haben viel Erfahrung mit kunsthandwerklicher Arbeit. Erst im vergangenen Jahr hatte Pollak mit ihrer Kreativgruppe in der JVA, die sie seit einigen Jahren leitet, eine große Ausstellung mit Kunst von Gefangenen gestaltet. Nach einer ersten Präsentation im Würzburger Caritashaus gehen diese „Lebensbrüche“, wie die ungewöhnliche Schau heißt, auf Reise durch Unterfranken. Und neben ihrer Kreativerfahrung hat Pollak viele Helferinnen. Denn in der JVA sitzen viele Frauen mit viel Zeit, die nur darauf warteten, ihrem Direktor einmal zu zeigen, was sie drauf haben. Und so wurde eine skurrile Wette geboren, die inzwischen Strickaktivistinnen in ganz Deutschland auf den Plan gerufen hat.
Die Anfänge waren klein, Pollak und Sodenkamp baten im Bekanntenkreis um Woll- und Nadelspenden für ihre 15-köpfige Stickerinnengruppe in der JVA. Doch langsam sprach sich die Wette herum. Die beiden lebenslustigen Frauen, die mit viel Spaß dabei sind, nutzen jede Gelegenheit, für ihre Wette zu werben und Mitstrickerinnen zu finden. Offensichtlich mit Erfolg. Aus ganz Deutschland kommen inzwischen Rückmeldungen, Frauen melden sich per Telefon oder E-Mail, bringen Wolle oder fertige Schals vorbei. Mal kommen die Sachen per Post, mal hält ein voller Lieferwagen vor Pollaks Haus und lädt ab. Der letzte kam aus dem Westerwald. Fleißige Strickerinnen sitzen in Augsburg, Berlin, Coburg oder Hamburg.
Auch aus Österreich und der Schweiz sind Schals zugesagt. Die entferntesten Lieferanten sitzen in Argentinien – noch zumindest. Pollaks Energie ist es zuzutrauen, dass bald auch aus China, Kanada oder Tansania Schals kommen. Auch Australien und Neuseeland könnten interessant sein, Wolle gibt es dort genug. Bis zu zehn Anrufe in Sachen Wolle bekommt Pollak jeden Tag. Am anderen Ende der Leitung sind Frauen, die ihre Adresse haben wollen, nach der Größe der Schals fragen oder einfach nur den Sachstand ihrer lokalen Strickproduktion erklären wollen. Dabei kommen auch viele andere Dinge zur Sprache: Frauenthemen, lustige und weniger lustige. Strickseelsorge statt Telefonseelsorge.
Geht Pollak durch Würzburg, kommt sie inzwischen nie ohne Taschen voller Wolle nach Hause zurück. Ohne ihre Sammelstellen für Woll- oder Schallieferungen abzuklappern? Was sollte man sonst noch in der Stadt? „Bei uns zu Hause sieht es entsprechend aus“, sagt sie. Glücklicherweise hat ihr die JVA einen Raum zur Verfügung gestellt, um Wolle und Schals zu lagern.
Die Wette, für die Landtagsabgeordneter Oliver Jörg als Vorsitzender des Anstaltsbeirats gerne die Schirmherrschaft übernommen hat, gebiert weitere Stilblüten. Ein eigener Strickkreis – einige der Frauen kommen aus dem Umfeld des Ökumenischen Zentrums in Lengfeld, das die Wette eifrig begleitet – trifft sich einmal pro Woche in einer Würzburger Änderungsschneiderei. Bis zu 15 Frauen stricken dort um die Wette und sitzen dabei aus Platzgründen im Schaufenster. Eine Märchenerzählerin hat sie dabei schon unterhalten. Ein Mann hat sich gemeldet, der zwar nicht stricken kann, den Frauen bei ihrer Arbeit aber etwas vorsingen will. In einem Würzburger Hotelrestaurant etabliert sich gerade ein regelmäßiges Strickfrühstück. „In einem Kindergarten sagte uns kürzlich die Leiterin, dass alle Kinder dabei seien, Anhänger für unsere Schals zu basteln. Ich wusste gar nichts von der Aktion“, erzählt Pollak schmunzelnd.
Im November 2010 ging der Spaß los. Bis Ende März 2011 haben die beiden Frauen schon 420 Schals zusammen. Bei zirka 150 bis 180 Zentimeter Länge und zirka 20 Zentimeter Breite benötigen sie rund 1000 Schals, um die JVA einmal zu umgarnen. Mitstrickerinnen sind noch willkommen, auch Wollspenden werden immer gebraucht. Bei 250 bis 300 Gramm Wolle pro Schal wird ihr fertiger Riesenschal über eine viertel Tonne auf die Waage bringen.
Bis zum kommenden Adventsbeginn wollen Pollak und Sodenkamp fertig sein und ihr wollenes Riesengebinde um die JVA winden. Wer all die Schals bekommen soll, war von Anfang an klar: Flüchtlinge in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft, Obdachlose, Klienten der Wärmestube und Bahnhofsmission oder von Saint‘Egidio. Wenn einige gegen Spende weitergehen, sollen die Strickerinnen in der JVA davon profitieren.
JVA-Leiter Hutter kann sich schon mal überlegen, welchen Wetteinsatz er liefern will. Und bei der Übergabe der Schals, die Pollak und Sodenkamp mit vielen Mithelferinnen und unter Begleitung einer Musikkapelle übergeben will, wird er sich warm anziehen müssen. Schals zumindest werden genug da sein.
Annahmestellen für Wolle, Stricknadeln und Schals: Ingrid Pollak, Pilziggrundstraße 71 a, 97076 Würzburg; Monika Sodenkamp, Helmuth-Zimmerer-Straße 80, 97076 Würzburg; Apotheke am Real-Markt, Industriestraße 7, 97076 Würzburg; Caritashaus, Franziskanergasse 3, 97070 Würzburg; Diakonisches Werk, Friedrich-Ebert-Ring 24, 97070 Würzburg; Wollmarkt, Marktgasse 1, 97070 Würzburg; Wolle Rödel, Kaiserstraße 9, 97070 Würzburg. Kontakt: Ingrid Pollak, Telefon 0931/272397, E-Mail ingrid.pollak@web.de.
(1511/0424; E-Mail voraus)
Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet