Bad Brückenau (POW) Muscheln, wohin man blickt: Sie zieren Dosen, machen sich als Kerzenständer nützlich, hängen an bunten Bändern von den Regalen. Wer einige Zeit im Haus von Werner und Elisabeth Alferink in Bad Brückenau verbringt, entwickelt automatisch den berühmten „Muschelblick“, von dem die 76-Jährige erzählt: „Man sieht überall Muscheln.“ Sie selbst trägt als Schmuck eine silberne Muschel an einer Kette um den Hals.
Vor rund 36 Jahren, das Ehepaar war damals Anfang 40, kamen sie zum ersten Mal mit dem Jakobsweg in Berührung. „Auf einer Familienfeier erzählte uns ein weitläufiger Verwandter, ein protestantischer Christ, von einem Pilgerweg in Spanien, den man auch gehen kann“, erinnert sich Elisabeth Alferink. Gehen? „Wir waren Kreuzberg-Wallfahrer“, erzählt sie. „Aber wir waren keine Wanderer.“ Lieber fuhren sie mit dem Paddelboot auf dem Main, der Donau oder der Loire. Aber sie hatten noch Urlaub übrig und Lust, den Camino auszuprobieren.
„Wir haben blauäugig unsere Rucksäcke gepackt und sind losgefahren.“ In Saint-Jean-Pied-de-Port, an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien, begannen sie ihre erste Pilgerreise. „Und schon am zweiten Tag habe ich das erste Päckchen nach Hause geschickt“, sagt Elisabeth Alferink und lacht: „Wir hatten viel zu viel dabei.“ Damals war der Weg kaum beschildert, es gab kaum Unterkünfte und Alferinks trafen unterwegs nur wenige Pilger. Nach vier Wochen und 800 Kilometern erreichten sie Santiago de Compostela. Es war der Beginn von etwas, das bis heute hält. „Wir haben es vorher auch nicht gewusst, aber von da an sind wir im Grunde jedes Jahr irgendwo auf dem Pilgerweg gewesen“, sagt Werner Alferink. „Den Jakobsvirus“, so Elisabeth Alferink mit Nachdruck, „wird man nicht mehr los.“
Sie begannen, Literatur über den Jakobsweg zu sammeln. Werner Alferink, bislang auf Grafiken zum Thema Würzburg und Rhön spezialisiert, entdeckte ein neues Sammelgebiet: „Mit dem Pilgern kam das Thema Jakobsweg hinzu und wurde zum Hauptthema.“ Grafiken von Kirchen, Pilgern und Landschaftsszenen entlang des Camino schmücken das Wohnzimmer. Das Jahr 1988 brachte erneut eine Wende im Leben der Alferinks. Nach einem Lichtbildervortrag von Pfarrer Gottfried Amendt machten sie sich mit 16 weiteren Pilgern zu Fuß auf den Weg von Würzburg nach Santiago de Compostela. Fünf Jahre brauchten sie, um die rund 2700 Kilometer in mehreren Etappen zurückzulegen. Aus dem Kreis dieser Santiago-Pilger wurde noch im Dezember 1988 die Fränkische Sankt Jakobus-Gesellschaft Würzburg e.V. gegründet. Deren Präsident war von 1991 bis 2007 Werner Alferink, seit 2007 ist er Ehrenpräsident. Die Gesellschaft zählt heute rund 1500 Mitglieder und Freunde in ganz Europa.
Immer weitere Kreise zog das Engagement. „Nach und nach ist es zum Hauptberuf geworden“, scherzt Werner Alferink. So trieb die Sankt Jakobus-Gesellschaft unter anderem die Planung und Beschilderung von Teiletappen des Jakobswegs voran. Im Juli 1999 beispielsweise wurde die Teilstrecke von Würzburg nach Ulm über Rothenburg ob der Tauber eröffnet. Anfang der 90er Jahre kam das Bayerische Pilgerbüro auf Werner und Elisabeth Alferink zu und engagierte sie als Reisebegleiter auf dem Jakobsweg. Passenderweise hatte Elisabeth Alferink gerade einen vierwöchigen Spanischkurs in Salamanca hinter sich. „Einmal habe ich sieben Reisen in einem Jahr begleitet“, erzählt sie.
Weil beide und auch viele Teilnehmer das damalige Reiseangebot für Pilger, das hauptsächlich aus Busreisen bestand, als zu eingeschränkt empfanden, entwickelten sie kurzerhand eine neue Art der Pilgerreise. „Es gibt ein Auto für das Gepäck und für Notfälle, und dann wird zu Fuß von Ort zu Ort gelaufen“, erklärt Elisabeth Alferink die Idee. Heute gibt es vom Bayerischen Pilgerbüro einen eigenen Katalog für solche Wanderreisen sowie kombinierte Wander- und Busreisen auf dem Jakobsweg. In ihrem Urlaub halfen Alferinks im Pilgerbüro in Santiago und stellten Pilgerpässe aus. Und schließlich ging Elisabeth Alferink selbst unter die Autoren. Aus den vielen Geschichten und Legenden, die sie auf ihren Pilgerreisen gesammelt hatte, stellte sie das Bändchen „Auf den Spuren des Jakobus“ zusammen. Mittlerweile gibt es fünf Bücher, darunter einen Reiseratgeber, ein Gebet- und Liederbuch und das Kinderbuch „Auf nach Santiago!“.
In der Wohnung von Werner und Elisabeth Alferink hat der Jakobsweg viele Spuren hinterlassen. Die Bücher über den Pilgerweg und die Geschichte des Pilgerns füllen mehrere Regale. An der Wand lehnt ein Pilgerstab mit Kalebasse und Muschel. Die Holzfigur eines Matamoros, spanisch für „Maurentöter“, schmückt einen Sims. Der Legende nach soll der Apostel in der Schlacht von Clavijo im Jahr 844 als Reiter auf einem Schimmel erschienen sein und so den Sieg der Christen über die Mauren herbeigeführt haben. Eine Pilgerfigur aus galizischem Granit lässt sich kaum vom Tisch heben. „Der ist nicht so schwer“, sagt Werner Alferink und lächelt verschmitzt: „Der ging im Rucksack mit nach Würzburg.“ Ob Kirchenführer oder Sondermarken zum Jakobus-Jahr – sie haben alles aufgehoben. Ein besonderes Stück ist die Jakobs-Reliquie. Bei einer Juwelierin in Santiago erkundigten sie sich nach einer passenden Fassung. „Die Dame hat ein Kreuz gebracht, und es hat genau gepasst“, erzählt Elisabeth Alferink.
So spannend die Geschichten mancher Andenken sein mögen, noch lieber erzählen sie von den Begegnungen auf dem Jakobsweg. Etwa von dem Mann, der seine kranke Frau in einen Rollstuhl setzte, den Rollstuhl an seinem Fahrrad befestigte und sie so auf dem Pilgerweg hinter sich herzog. Oder von den italienischen Franziskanern, denen es auf dem letzten Stück des Jakobswegs zu voll war. „Sie haben den Autobus bis Santiago genommen, sind von dort ans Meer gelaufen und zurück. Sie durften keine Urkunde bekommen, da sie nicht zu Fuß in Santiago angekommen waren“, erzählt Elisabeth Alferink. Denn eine Urkunde bekommt nur, wer die letzten 100 Kilometer bis Santiago nachweislich zu Fuß gegangen ist und religiöse oder wenigstens spirituelle Motive hat. So wie der Herr aus Essen, der jedes Jahr alleine mit dem Rucksack auf dem Camino unterwegs war. 93 Jahre war er alt, als ihn Alferinks unterwegs kennenlernten. „Ich bin jedes Jahr hier und jedes Mal macht sich meine Verwandtschaft Gedanken um mich“, habe der rüstige Mann ein wenig ratlos erzählt.
Werner und Elisabeth Alferink sind mittlerweile beide 76 Jahre alt. Vor zwei Jahren haben sie aus gesundheitlichen Gründen mit dem Pilgern aufgehört. Doch die Begeisterung für den Jakobsweg ist ungebrochen. Eine Faszination, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. „Sie können es nur ausprobieren, dann merken Sie es“, ist Elisabeth Alferink überzeugt. „Der Jakobsweg ist für jeden anders.“
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